Unsere Podiumsdiskussion im Rahmen der 16 Taqe gegen Gewalt an Frauen wurde von Michèle Binswanger in ihrem Artikel im Tagesanzeiger erwähnt.
«Auf dem Podium in der Photobastei wird klar: Es gibt immer auch Zwischentöne und Graustufen. Journalistin Nina Kunz erzählt, dass diese Erfahrungen für sie als junge Frau durchaus auch ambivalent waren. Dass begrabscht zu werden gewissermassen auch als Kompliment aufgefasst werden kann, weil man ja «fuckable» ist. Und dass es eine gewisse Zeit brauchte, um diese Erlebnisse einordnen zu können. Es sind mutige Aussagen, und sie führen die Diskussion dahin, wo sie interessant wird: bei der Schwierigkeit, die eigenen Grenzen erst einmal für sich selber erkennen lernen zu müssen, bevor man sie auch gegenüber anderen ziehen kann. Selbstverteidigungscoach Alex Maspoli stimmt ihr zu. Man müsse aufhören, auf Opfer und Täter zu fokussieren, und sich stattdessen konkreten Handlungen zuwenden, die als grenzüberschreitend empfunden würden. Viele Sexualstraftäter versuchten nämlich, die Grenzen diffus zu gestalten, dem Opfer auszureden, dass solche Grenzen gezogen werden könnten. In seiner Arbeit gehe es deshalb darum, die eigenen Grenzen erkennen zu lernen und sie mittels Körpersprache deutlich zu ziehen. «Jeder hat ein Recht auf Grenzen, jeder hat ein recht, Nein zu sagen», halt Maspoli fest. Und jeder habe ein Recht, sich zu wehren, was man vor allem jüngeren, männlichen Gewaltopfern zunehmend vermitteln müsse. Manche liessen sich lieber verprügeln, als sich zu wehren, um bloss nicht selber Gewalt anzuwenden. Sie seien aggressionsgehemmt, sagt Maspoli.»
(Tagesanzeiger, Wie Frauen kämpfen, 9.12.2017)
Einerseits freuen wir uns, dass es eine kritische Auseinandersetzung
damit gibt, wie «Feminismus eigentlich stattfindet». Und auch darüber,
dass festgestellt wird, dass nicht immer alles schwarz und weiss ist.
Auch wir Feminist*innen sind der Meinung, mensch müsse differenzierter
über Themen wie sexuelle Belästigung diskutieren, als es ein #MeToo und
280 Zeichen Gezwitscher erlauben.
Andererseits scheinen einige
unserer Kernbotschaften nicht so recht angekommen zu sein, da nur einige
wenige Zitate der Podiumsteilnehmenden ausgewählt wurden, die in eine
etwas andere Richtung zeigen. Vor allem der starke Fokus darauf, wie man
die eigenen Grenzen richtig setzt, stört uns etwas.
Es ging uns
bei der Podiumsdiskussion vor allem auch darum, dass Menschen so
miteinander umgehen sollen, dass jemensch nicht gezwungen ist, ständig
Grenzen zu ziehen und sie alleine zu verteidigen. Vor allem Fragen,
welche Strukturen es dafür braucht oder wie mensch besser kommunizieren
kann, um Übertritte zu vermeiden, wurden diskutiert. Klar mag es
illusorisch klingen, auch ohne Grenzziehung keine Grenzüberschreitung
fürchten zu müssen. Es gibt aber durchaus auch Menschen, denen jegliches
Grenzenziehen schwer fällt. Was dann? Diesen Personen die Schuld für
einen Übergriff in die Schuhe zu schieben, ist keine Lösung. Es muss
auch eine Anstrengung der Gegenseite geben, besser darin zu werden, sich
ins Gegenüber hineinzufühlen und zu überprüfen, ob das eigene Verhalten
auch noch ok sei. Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, dass der
normale Modus «Geh soweit bis dich jemand aufhält» ist.
Auch dass
Grenzen-Ziehen immer auch eine Machtfrage ist, fällt etwas unter den
Tisch. Selbstwahrnehmung der eigenen Grenzen ist notwendig, um diese
ziehen zu können und stärkt auch das Selbstbewusstsein. Aber es ist
nicht hinreichend: nur weil mensch seine Grenzen kennt, heisst das noch
lange nicht, dass mensch sie dann auch ziehen kann. Werde ich
beispielsweise von meiner*m Chef*in belästigt, kann ich diese Grenze
schwer ziehen, weil ich Angst um meinen Job habe.
Hier muss es ein
Umdenken geben: Grenzen anderer erkennen zu lernen und den Fokus auch
auf diese Seite zu setzen wäre unserer Ansicht nach ein Schlüssel für
ein respektvolleres Zusammenleben.
Ps: Hier kann man noch die gesamte Diskussion nachhören:
https://soundcloud.com/user-934179218/28112017-grenzen-erkennen-grenzen-setzen-podiumsdiskussion-live