Die TV-Kritik von René Hildbrand zu Bettina Bestgens „Glanz und Gloria“- Moderation hat ein grosses Medienecho ausgelöst. Zahlreiche Medienschaffende bezogen Stellung, bezeichneten Hildbrands Worte als sexistisch und verteidigten Bestgens Auftritt. Auch aktivistin.ch kritisierte Hildbrands Artikel auf medienpranger.ch, worauf persoenlich.com Herrn Hildbrand mit den Vorwürfen konfrontierte. Nach Lektüre seiner verteidigenden Worte müssen wir leider sagen: Sie haben gar nichts verstanden, Herr Hildbrand! Hier also eine feministische Erklärung zum „Tattoo-Gate“ für Alle zum mitschreiben.
Eins vornweg: Bei der ausgelösten Debatte geht es nicht um eine Pro-Kontra-Tattoo-Diskussion. Es geht viel mehr um die Frage, wer wann wo und wie über wessen Körper urteilt, urteilen kann und urteilen darf. Es ist diese gleiche Frage, die jedes Mal aufgeworfen wird, wenn Frisuren, Kleidung oder Körpergewicht von Frauen*, die in der Öffentlichkeit stehen, bewertet werden. Und ja, in unserer Gesellschaft sind es in der Regel Männer, die die Körper von Frauen* beurteilen. Und zwar aus einer male gaze** .Frauen* haben in der Regel zu gefallen (und zwar heterosexuellen Männern), sie haben hübsch, lieb, anständig, unauffällig und auch ein bisschen sexy zu sein. Aber ja nicht zu sexy, dann wären sie wieder „Schlampen“.
Wenn Ihnen,
Herr Hildbrand grossflächige Tätowierungen nicht gefallen, ist das Ihr
gutes Recht. So etwas ist ja schliesslich Geschmacksache (wie Sie
übrigens selber geschrieben haben in Ihrem Artikel). Aber eben: Es ist
Geschmackssache. Und es wird sie jetzt vielleicht überraschen, Herr
Hildbrand, aber ihr Geschmack ist nicht das Mass aller Dinge!
Ganz
schwierig wird’s dann bei Aussagen wie: „Dezente Tattoos wie etwa das
Bändchen am rechten Oberarm von Michelle Hunziker oder solche an schönen
Fussgelenken finde ich sogar sexy.“ Wenn ein Tattoo in ihren Augen sexy
ist, ist es also ok? Im Interview mit persoenlich.com rechtfertigen Sie
sich, dass Ihre Aussagen auch für Männer gelten und ergo nicht
sexistisch sein können. Beurteilen Sie die Tattoos von Männern dann auch
nach ihrer subjektiv wahrgenommenen Sexiness? Oder gelten da plötzlich
andere Massstäbe? Joël von Mutzenbacher bezeichnen Sie als guten
Moderator, ohne sich über seine Äusserlichkeiten auszulassen. Schaffen
Sie das bei Frauen* nicht?
Und was um Himmels willen meinen Sie mit
einem „schönen Fussgelenk“? Gibt es denn auch unschöne Fussgelenke? Und
sollten Menschen mit solchen keine Tattoos haben oder am besten gleich
zu Hause bleiben? Wir wollen ja nicht, dass Ihr sensibles Auge von
unschönen, überladen tätowierten, Frauen*fussknöcheln belästigt wird.
Um ihre Argumente zu unterstreichen, ziehen Sie die Psychologie herbei und rätseln, ob wohl Identitätsfindung, Rebellion oder gar körperliche Makel hinter Frau Bestgens Tattos stecken. Von den Äusserlichkeiten eines Menschen auf dessen psychische Verfassung zu schliessen ist wirklich ganz grosses Kino. In welchem Semester ihres Psychologiestudiums haben Sie das wohl gelernt?
Doch nicht nur mit
der Psyche des Menschen, auch mit Kulturanthropolgie kennen Sie sich
bestens aus. So erinnert Sie Frau Bestgens Tätowierung an „die
Kriegsbemalung der Indianer“. Auf den von medienpranger.ch erhobenen
Rassismusvorwurf antworten Sie: „Rassistisch gegenüber Menschen kann man
sein wegen der Hautfarbe, Augenform, Religion oder was auch immer. Es
hat beim besten Willen nichts mit Rassismus zu tun, wenn man Tattoos
kritisiert, die jemand selber gewählt hat.“
Zunächst mal vielen Dank,
dass Sie uns erklären, was Rassismus ist. Allerdings scheinen Sie
selber Nachholbedarf zu haben. Denn Ihre Aussage war nicht in Bezug auf
Bettina Bestgen rassistisch. Sondern in Bezug auf Native Americans.
Westliche Tattoos und rituelle Körperbemalung von indigenen Völkern,
welche immense spirituelle und religiöse Bedeutungen haben, in einen
Topf zu schmeissen, zeugt von einem kulturellen Unverständnis, das
Seinesgleichen sucht. Aber eben, wenn Sie so etwas sehen wollen, dann
schauen Sie sich einen „Indianer-Film“ an. Dass Native Americans nicht
nur lustige Film-Statisten sind, sondern Menschen mit einer von Gewalt
geprägten Geschichte und einer Lebensrealität, die auch heute noch von
Unterdrückung geprägt ist, daran haben Sie wohl nicht gedacht, als sie
ihre saloppen Sätze formuliert haben.
Nun würden Sie, Herr Hildbrand, bestimmt argumentieren, dass Menschen, die vor der Kamera stehen, ein gewisses Mindestmass an Attraktivität mitbringen müssen. Aber wer hat das eigentlich so festgelegt? Und vor allem: Wer bestimmt was attraktiv ist? Weiss, schlank, gross, langhaarig, dezent tätowiert? Das Aufdrängen von normierten Schönheitsidealen und Verurteilen von allen anderen Arten von Schönheit nennt man bodyshaming*** . Lieber Herr Hildbrand, die Zeiten, in denen weisse Männer der Welt diktieren konnten, wie sie auszusehen hat, sind zum Glück (bald!) vorbei! Von Ihnen als Journalist, als weisser, gebildeter Cis-Mann erwarten wir zumindest den Versuch, Ihre privilegierte Perspektive abzulegen und zu verstehen, dass Sie Menschen – und hier meinen wir nicht ausschliesslich Frau Bestgen – mit Ihrer ignoranten Art verletzen und diskriminieren.
Wir von aktivistin.ch sind der Meinung, dass alle Körper schön sind. Wir stehen ein für diverse Körperbilder, egal ob dick oder dünn, Weisse oder People of Colour, tätowiert oder nicht. Und wir wehren uns gegen öffentliches Kritisieren, Beleidigen und Bodyshamen gegen Körper, welche nicht der Norm entsprechen.
**male gaze bedeutet „Männlicher Blick“ und meint damit die (cis-hetero-)männliche Sichtweise auf die Welt und insbesondere auf Frauen*, welche dabei auf Objekte der männlichen Begierde reduziert werden.
***bodyshaming ist die Praxis abwertende und erniederigende Bemerkungen über jemandens Körper zu machen.