Der erste Mai ist auch ein achter März

Der 1. Mai ist als Tag der Arbeit auch ein feministischer Kampftag. Dies hat nichts mit Einverleibung fremder Anliegen zu tun, sondern ist eine strukturelle und gesellschaftliche Realität: Denn am 1. Mai gibt es von Frauen* seite mehr zu beanstanden, als das leidige Thema der andauernden Lohnungleichheit in unser aller Mitte.

Es muss an dieser Stelle wohl niemandem mehr erklärt werden, warum der 1. Mai immer noch ein wichtiger Protesttag ist, an dem es sich auf die Strasse zu gehen lohnt um für die kompromisslose Umsetzung von durch die Verfassung festgelegten, Rechten zu kämpfen. Das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit ist eines davon. Doch die Anliegen, die es am 1. Mai auf die Strasse zu tragen gilt, übersteigen in vielerlei Hinsicht die mit der Wirtschaftslogik konformen Gesetze: Un-, beziehungsweise lächerlich tief, bezahlte und gesellschaftlich marginalisierte Care Arbeit ist ein feministisches Anliegen, welches in diesem Diskurs immer noch eine Randposition einnimmt. Dass am Tag der Arbeit zuerst einmal auf die einzelnen (anerkannten) Sektoren und deren Forderung nach höheren Löhnen, besserer Alters- und Sozialversicherung und mehr Rechten verwiesen wird, zeugt gerade von einer Verinnerlichung jenes Prinzips, das es am 1. Mai eigentlich anzuprangern gilt: Dem kapitalistischen Denken und der damit einhergehenden Monetarisierung jeglicher Arbeit. «Gibt’s dafür keinen Lohn, ist es keine Arbeit und verdient als solche auch keine Beachtung», lautet die Maxime und zugleich das grundlegende Problem.

Doch solange ein grosser Teil von Arbeit, der in unserer patriarchalen Gesellschaft immer noch als traditionelle Frauen*arbeit (und somit eben keine Arbeit im klassischen Sinne) angesehen wird, unbezahlt bleibt, ist kein Umsturz der herrschenden Verhältnisse möglich. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet nicht nur, dass der Bauarbeiter und die Bauarbeiterin* gleich bezahlt werden, sondern auch, dass bisher unbezahlte Arbeit, die im substanziellen Sinne ebenso Arbeit ist, ebenfalls entlohnt wird. Dass Care Arbeit überhaupt gewürdigt und als Arbeit anerkannt wird, wäre der erste, längst fällige Schritt dazu. Diskutiert man diesen Ansatz, wird man oft zwangsläufig mit Verständnisschwierigkeiten und offener Ablehnung konfrontiert. Lohn für die Pflege der dementen Eltern? Bezahlung für das Sich-um-Andere-Kümmern? «Wie egoistisch!» klingt es zu oft aus den Mündern jener, die sich aus privilegiertem Eigeninteresse keine wirkliche Veränderung der herrschenden Verhältnisse wünschen. Doch Care Arbeit ist auch Arbeit und muss als solche gewürdigt werden, ohne Wenn und Aber.

Neben gänzlich unbezahlter Arbeit gibt es auch eine Vielzahl marginalisierter Berufsfelder, in denen vorwiegend Frauen* tätig sind. Arbeitnehmerinnen*, die nicht nur geringe Löhne verdienen, sondern vielfach auch ohne gesetzlichen Schutz ihrer Arbeit nachgehen müssen, Repression und Schikanen ausgesetzt sind. Wie etwa Sexarbeiterinnen*, deren Anliegen bei Diskussionen um eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse oft gänzlich unbeachtet bleiben. Pflegeberufe zählen genauso dazu, wie weitere Berufe des Dienstleistungssektors. Die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in diesen Berufen entspringen denselben fehlgeleiteten Logiken: Sexarbeit wird als unmoralisch und verwerflich in eine Ecke gedrängt, in der den Frauen* jegliche Menschlichkeit abgesprochen und damit auch ihre Tätigkeit nicht als Arbeit qualifiziert wird. Pflege- und eine Vielzahl von anderen Dienstleistungsberufen werden immer noch als Frauen*arbeit und somit als sekundär und wirtschaftlich nicht relevant deklariert. Diskussionen darüber verebben in patriarchalen Phrasen und gipfeln oftmals gar in einer biologistischen Legitimierung dieser Tätigkeiten durch Frauen*.

In Anbetracht all dieser Missstände (und diese Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend!) wird deutlich, dass es Veränderungen braucht, die tiefer greifen müssen, als nur auf die Lohnebene. Nämlich bis in den Kern unserer Gesellschafts-, Familien – und Wirtschaftsstrukturen. Es ist an der Zeit, am 1. Mai radikale Forderungen auszusprechen:

Wir fordern ein grundlegendes Umdenken bei der Unterscheidung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Wir fordern, dass Sexarbeiterinnen* geschützt, versichert und nicht marginalisiert ihrer Arbeit nachgehen können- mit der Aussicht auf eine faire Altersvorsorge.
Wir fordern, dass Pflegerinnen* die Löhne verdienen, die dieser physisch und psychisch anstrengenden Arbeit gerecht werden.
Wir fordern, dass Trans*- und disabled Personen, Personen unterschiedlicher Ethnien und sexuellen Orientierungen keine Nachteile und Ablehnung auf dem Arbeitsmarkt erfahren und ein sicheres Arbeitsumfeld vorfinden.
Wir fordern den Schutz vor Ausbeutung und gleiche Rechte für migrantische Frauen*. Wir fordern auch, dass Mütter als gleichwertige Arbeitskräfte in einem Unternehmen anerkannt werden.
Neben all diesen vitalen Punkten fordern wir weiterhin und vehement denselben Lohn für dieselbe Arbeit- ohne Wenn und Aber, ohne fadenscheinige Gegenargumente.

Die Fragen, die wir uns zum 1. Mai stellen müssen, sind grundsätzliche Fragen nach dem Wert der Arbeit – und damit zwangsläufig auch nach ihrem Sinn. Diese Fragen lassen sich nicht ohne Feminismus beantworten, diese Forderungen brauchen den Feminismus als Sprachrohr und als Lautsprecher: Auf der Strasse am 1. Mai- und genauso lautstark und unnachgiebig an jedem anderen Tag. Antikapitalismus ist zwangsläufig feministisch, genauso wie Feminismus stets antikapitalistisch ist. Der Tag der Arbeit ist im Kern auch nur das, was der 8. März und jeder der übrigen 364 Tage im Jahr ist: Ein Frauen*kampftag.