Vergabe des Goldenen Tampons für den sexistischsten Medienbeitrag des Jahres

523 Leser*innen des Blogs medienpranger.ch haben abgestimmt: Der sexistischste Medienartikel des Jahres ist das Interview des Blicks mit Steffi Buchli – damit wird dem Blick der erste Goldene Tampon verliehen!

Sexismus zeigt sich überall: Auf der Arbeit, beim Einkauf im Supermarkt, in der Werbung, beim Sport. Gerade weil Sexismus so alltäglich ist, fällt er vielen gar nicht auf. Nichts desto trotz ist Sexismus ein real existierendes Problem, das vor allem viele Frauen tagtäglich zu spüren bekommen. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leisten die Medien, die die meisten von uns täglich konsumieren.

Der Watchblog medienpranger.ch schaute Schweizer Medien in den letzten Monaten genauer auf die Finger, das Ergebnis ist ernüchternd: Sexistische Berichterstattung steht in Schweizer Medien an der Tagesordnung.

Als die Sport-Moderatorin Steffi Buchli dieses Jahr Mutter wurde, musste sie sich vom Blick Fragen gefallen lassen, die an Dreistigkeit kaum zu überbieten sind. „Sind die Schwangerschaftskilos schon alle weg?“ – „Warum gehen Sie schon so früh wieder arbeiten?“ – „Warum sind Sie so spät Mutter geworden?“ – In solchen Fragen schwingen nicht nur Vorwürfe mit, sondern zementieren das Bild, dass frau gefälligst zuhause bei Kind und Küche bleiben sollte.

Das Interview mit Steffi Buchli ist sexistisch, weil sich bereits die erste Interviewfrage um Steffi Buchlis Figur dreht und diverse weitere intime Fragen zu ihrem Körper und ihrer Ernährung folgen. Weil der Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft in Frage gestellt wird. Weil ihre Entscheidung, nach dem Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten zu gehen, in Frage gestellt wird. Weil ihr Mann, Florian Kohler, einfach als «sehr engagiert» gilt und seine Entscheidung berufstätig zu bleiben nicht in Frage gestellt wird.

Der Goldene Tampon wurde am 16. Dezember mit viel Glitzer in der Blick-Redaktion übergeben. Sie erhalten ihn zu recht für den sexistischsten Artikel des Jahres. Der Preis wurde um ca. 17.30 Uhr in Form eines mit goldenen Tampons geschmückten Weihnachtsbaumes vor dem Ringier-Gebäude übergeben. Nachdem lange niemand aus der Redaktion am Empfang des Ringier-Gebäudes den Preis begutachten wollte, hat Kommunikationschef Edi Estermann den Preis in Vertretung entgegen genommen.

Zum Voting: http://medienpranger.ch/jetzt-abstimmen-fuer-den-sexistischsten-artikel-des-jahres/

Blick-Interview: http://www.blick.ch/people-tv/schweiz/nach-vier-monaten-babypause-kehrt-steffi-buchli-ins-tv-zurueck-auch-fuer-karlie-ist-es-gut-wenn-ich-wieder-arbeite-id4978539.html 

Was tun, wenn du Gewalt ausgesetzt bist

#16TageGegenGewaltAnFrauen

An dich, die Gewalt ausgesetzt ist

Text: Susanne


Täglich, mitten in unserer Gesellschaft findet Gewalt gegen Frau*en statt. Es ist kein Randphänomen. Jede*r kennt Frau*en, die physische, psychische und/oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Viele schweigen und reden nie über das Erlebte. Jede fünfte Frau* in der Schweiz sieht sich im Laufe ihres Lebens körperlicher, psychischer und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Täter sind überwiegend männlich. Jede Woche werden im Schnitt 10 Vergewaltigungen bei der Polizei gemeldet. Die Dunkelziffer wird noch um ein Vielfaches höher geschätzt.

Angst und Schamgefühl, aber auch die Tatsache, dass nur in den seltensten Fällen ein Gerichtsverfahren zu einer Verurteilung des Täters führt, haben zur Folge, dass die meisten sexuell motivierten Vergehen nicht aktenkundig werden. In drei Viertel der Fälle kannten die Frauen den Täter vor dem Übergriff. Häufig handelt es sich dabei um den eigenen Partner.

Häusliche Gewalt ist in unserer Gesellschaft ein Tabu. Erst seit 2004 (!) wird Vergewaltigung in der Ehe als Offizialdelikt von Amtes wegen verfolgt. Niemand spricht über physische, psychische und sexuelle Gewalt. Sie findet häufig im Verborgenen statt. Berichterstattungen über Gerichtsprozesse, die sexuelle Gewalt behandeln sind oftmals sexistisch und verharmlosen die Tat. Nicht selten wird den Frauen dabei die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Viele Frauen wissen nicht an wen sie sich wenden können, wenn ihnen Gewalt angetan wurde. Straftatbestand und Rechtsgrundlage für die Betroffenen sind nur selten ausreichend erklärt.

An dich, der Gewalt angetan wurde

–          Du hast sexuelle, psychische und/oder physische Gewalt als massiven Übergriff auf Deinen Körper und Deine persönliche Integrität erlebt. Scham und Schuldgefühle sind eine normale Reaktion auf das Erlebte. Dich trifft keine Schuld! Gewalt kann jede Frau treffen und wird nicht durch Dein Verhalten oder Deine Kleidung ausgelöst!

–          Dein Partner ist übergriffig und gewalttätig? Verlass den Partner! Egal wie sehr er Dir beteuert, dass es nicht mehr vorkommt, es kann jederzeit wieder passieren! Es ist Dein Recht, den gewalttätigen Partner nach einem Übergriff für 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung wegweisen zu lassen. Suche Schutz in einem Frauenhaus, wenn Deine persönliche Sicherheit nicht anders gewährleistet werden kann.

–          Informiere Deine Vertrauenspersonen! Es ist wichtig, dass Du Vertrauenspersonen über die erlittene Gewalt informierst. Unterstützung aus Deinem Umfeld wird Dir helfen das Geschehene zu verarbeiten.

–          Nach dem Übergriff: Gehe so schnell wie möglich ins Spital! Am besten innerhalb von 72 Stunden. Auch wenn es Dir schwer fällt, nach erlittener sexueller Gewalt solltest Du möglichst nicht duschen oder baden, damit die Spuren des Übergriffs gesichert werden können.

–          Hole Dir Hilfe! Wende Dich an eine Opferberatungsstelle. Dort kann man Dir helfen und Dich über Deine Rechte aufklären! Dort erhältst Du auch psychologische Unterstützung und wirst über Deine rechtlichen Möglichkeiten aufgeklärt. Sie unterstützen Dich, wenn Du Anzeige erstatten möchtest.

–          Schreibe den Tathergang der Übergriffe auf! In Gerichtsverfahren ist es wichtig, dass Du möglichst genaue Angaben machen kannst. Bei Delikten wie Stalking, für die keine eigene Strafnorm besteht, ist es von äusserster Wichtigkeit, dass Du jeden Übergriff auf Deine persönliche Freiheit und Integrität im Detail aufschreibst. Drohungen durch Kurzmitteilungen und per Telefon musst Du am besten aufzeichnen und abspeichern.

–          Im Strafverfahren: Entscheidest Du Dich für eine Anzeige, kannst Du den Übergriff auf jeder Polizeistelle melden. Die meisten Sexual- und Gewaltdelikte sind Offizialdelikte und werden von Amtes wegen vom Staat verfolgt. Dir stehen im Strafverfahren besondere Rechte zu! Du kannst entweder als Privatklägerin, oder als Zeugin im Strafverfahren teilnehmen. Die Opferberatungsstellen können Dir Deine rechtlichen Möglichkeiten genau erklären.

Schutzrechte und Rechte im Strafverfahren:

–       Du kannst verlangen, dass Deine Identität ausserhalb des öffentlichen Gerichtsverfahrens geschützt wird.

–      Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität kannst Du verlangen, dass Du durch eine Person des gleichen Geschlechts befragt wirst. Wenn Du eine Übersetzung brauchst, hast Du das Recht, dass diese durch eine Person des gleichen Geschlechts erfolgt.

–    Du darfst während des ganzen Verfahrens von einer Vertrauensperson begleitet werden.

–    Aussagen zu Fragen der Intimsphäre (insbesondere zum Sexualverhalten) dürfen verweigert werden.

–    Du darfst verlangen, dass jede Begegnung mit dem Täter vermieden wird, wenn nicht zwingend notwendig für das Verfahren.

–    Du kannst verlangen, dass die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen wird.

–    Du hast das Recht, über die Anordnung und Aufhebung der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft sowie über eine Flucht des Täters informiert zu werden.

–     Bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität darfst Du mittels Antrag verlangen, dass dem Gericht wenigstens eine Person gleichen Geschlechts angehört.

Ein Strafverfahren ist eine äusserst belastende Situation. Die Erinnerung an die Tat wird aufgefrischt und die Emotionen können wieder hervorbrechen. Es ist daher sehr wichtig, dass Du Dir Unterstützung holst und das nicht alleine durchleben musst. Ohnmacht, Angstgefühle, Verlust von Vertrauen und Schuldgefühle sind normale Reaktionen auf den massiven Übergriff auf Dich und Deinen Körper. Nimm Dir die Zeit und Unterstützung die Du brauchst um das Erlebte zu verarbeiten.

Jede*r kennt Frauen*, denen Gewalt angetan wurde. Zu oft wissen wir es nicht. Es ist unsere Verantwortung als Gesamtgesellschaft, den Frauen zuzuhören, zu glauben und Unterstützung zu bieten.

Das Tabu und das Schweigen gegenüber sexueller, psychischer und physischer Gewalt muss durchbrochen werden!


16 Tage gegen Gewalt an Frauen

Vom 25. November bis am 10. Dezember 2016 findet die Veranstaltungsreihe «16 Tage gegen Gewalt an Frauen statt». Mehr Informationen dazu sowie das ganze Veranstaltungsprogramm unter www.16tage.ch

Netzwerktreffen 2016

Das zweite Netzwerktreffen von aktivistin.ch fand dieses Jahr in der alten Kaserne Zürich mit dem Thema „Care – Chancen, Arbeit, Räume, Existenz“ statt. Rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lauschten, diskutierten und tauschten sich aus.

Care-Arbeit wurde als Thema für das diesjährige Netzwerktreffen ausgewählt, um die Arbeit in den Bereichen Haushalt, Kindererziehung, Pflege von alten und kranken Menschen uvm. zu thematisieren, die noch immer mehrheitlich von Frauen ausgeübt und organisiert wird, die dafür schlecht oder gar nicht entlöhnt werden. Die damit verbundenen sozialen Ungleichheiten in einem kapitalistischen System sowie die psychische Gesundheit der Pflegenden ist eines der aktuellsten Themen in der Gleichstellungsdebatte und bewog uns dazu, das Thema an unserem Netzwerktreffen mit einem Vortrag und Workshops zu durchleuchten.

Der Nachmittag wurde von aktivistin.ch mit einer Begrüssung und einem kurzen Rückblick auf das Wirken unseres Kollektivs seit der Gründung am 14. Juni 2015 eröffnet. Im Anschluss lieferte unsere Gastrednerin Prof. Dr. Gabriele Winker, Sozialwissenschafterin und Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, einen Input zu „Care Revolution – Krise der sozialen Reproduktion“. Während ihres Vortrages beschrieb sie diese Krise der sozialen Reproduktion im Neoliberalismus und verglich sie mit der Finanzkrise. Im ihrem Buch „Care Revolution – Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ wird vertieft auf die Organisation der Care-Arbeit im neoliberalen Kapitalismus eingegangen und Lösungsansätze zur Reorganisation der Care-Arbeit vorgelegt (Mehr zum Netzwerk Care Revolution).

In einer kleinen Runde auf den mit lila Satin überzogenen Sofas wurden drei verschiedene Projekte vorgestellt. Heidi Witzig und Hanna Hinnen stellten die Grossmütter-Revolution vor und was das Thema Care für ihre Generation bedeutet. Simona Isler erzählte über die Genossenschaft Geburtshaus Simmental-Saanenland Materité Alpine, das als Reaktion auf die Schliessung des lokalen Spitals entstand. Nafissa Saya von der Autonomen Schule Zürich stellte ein Fotoprojekt deren Frauengruppe vor, das Care-Arbeit im Bereich Haushalt sichtbar machen soll.

Nach der Kafi-Pause wurden zwei Workshops angeboten: Der eine Workshop zum Thema „Care Revolution“,  organisiert von Gabriele Winker und aktivistin.ch, der andere Workshop zum Thema „Sexarbeit – Beispiel einer stigmatisierten und prekarisierten Frauen*arbeit“, organisiert von der FIZ – Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration. In den Workshops wurden verschiedenen Fragen der beiden Themen in Kleingruppen diskutiert und anschliessend im Plenum vorgestellt.

Das Netzwerktreffen 2016 lieferte spannende Inputs, wertvollen Austausch und fruchtbare Vernetzung. Wir bedanken uns bei Nafissa Saya und der Autonomen Schule Zürich für die Einblicke in den Alltag von Migrantinnen*, bei Simona Isler für das Vorstellen der Maternité Simmental-Saanenland im Spannungsfeld zwischen politischen Interessen und Care, bei Heidi Witzig und Hanna Hinnen für Ihr Engagement in der Grossmütter-Revolution und Ihren Beitrag an den generationenübergreifenden Dialog, bei Lucia Tozzi und Anna Schmid für ihre spannenden, lehreichen Einblicke in die Arbeit der FIZ sowie bei Gabriele Winker für Ihren spannenden Vortrag und die Denkanstösse zur Care-Revolution. Weiter bedanken wir uns bei Sascha und Andi für die Kinderbetreuung während des Treffens, bei Claudia und Christina für die Betreuung des Bistros und bei allen Teilnehmenden für ihr grosses Interesse und ihre engagierte Mitarbeit in den Workshops.

Der naïve Glaube an unsere Menschlichkeit

Text: Sabrina

„Naiv“ nennt Andrea Geissbühler Frauen, die fremde Männer mit nach Hause nehmen, und sich dann wundern, dass sie vergewaltigt werden. Und damit fasst sie Rape Culture, die Vergewaltigungskultur, in der wir uns bewegen, die das Opfer fragt, was es denn an hatte, anstatt den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, konzis zusammen.

Naiv sind wir, die wir glauben, wir hätten das Recht auf körperliche Unversehrtheit, nur, weil das in der Bundesverfassung, Artikel 10, Absatz 2, so steht. Naiv, die wir denken, unsere Autonomie, unser Wille, unsere Handlungskompetenz seien zu respektieren. Naiv, die wir denken, wir hätten das Recht, die gleichen Räume in Anspruch zu nehmen wie Männer. 

Dann kommen die Analogien. Die, vom nicht abgeschlossenen Fahrrad, das man am HB hat stehen lassen, und sich drum nicht wundern muss, wenn es weg ist. Das liegengelassene Portemonnaie, den zur Schau gestellten Schmuck. All die Gelegenheit, die Diebe macht. Und so sehen wir uns einmal mehr reduziert, zu Dingen, Gebrauchsgegenständen, die – wenn sich die Gelegenheit bietet – eben gebraucht werden. Wir sind Objekte, ohne Seele, ohne Leben, ohne Menschlichkeit. 

Menschen, das sind nur die Männer, und bei ihnen liegt die gesamte Handlungsfähigkeit in so einer Situation. Sie drehen also den Daumen nach oben oder nach unten, wie es ihnen in diesem Moment beliebt, entscheiden, mal eben zu vergewaltigen, egal wie sehr sich das Objekt widersetzt. Wo bleibt der Aufschrei der Männer? Hier, wo ihnen unterstellt wird, dass keine Frau ihnen jemals vertrauen darf, dass sie weniger Selbstbeherrschung haben als die meisten Hunde? Dass sie, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, auf jeden Fall, grundsätzlich, Gewalt anwenden werden, weil auch sie, grundsätzlich, nicht fähig sind, Frauen als Menschen zu sehen? 

Denn das ist das Perfide an der Rape Culture; sie raubt uns alle unserer Menschlichkeit. Dass eine Nationalrätin, die überdies noch Polizistin ist – sollen Opfer sich so einer Person anvertrauen? – diese Kultur der Entmenschlichung öffentlich zelebriert, und nichts Schlimmes darin sieht, zeigt uns, wie weit der Weg noch ist. Und gehen müssen wir ihn zwingend zusammen, Männer und Frauen. Zusammen, als Menschen. 

Zeit für einen #SchweizerAufschrei

Unter dem Hashtag #SchweizerAufschrei teilen seit einigen Tagen Schweizer*innen ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexueller Belästigung. aktivistin.ch unterstützt die Aktion und den damit angeregten Diskurs. 


Text: Jessica

Ich bin 6. Meine Freundin und ich spielen im Park. Zwischen den Bäumen steht ein Mann mit herunter gelassener Hose. Wir finden das wahnsinnig komisch, wir glauben, der Mann hätte nach dem Toiletten-Besuch vergessen, seine Hose hoch zu ziehen – wie peinlich für ihn. Als wir es später unseren Eltern erzählen, verstehen wir ihre Aufgebrachtheit nicht.

Ich bin 12. Im Freibad tauche ich durch die Wellen, als mich eine Hand am Knöchel packt. Ich denke zuerst, es sei mein Vater, wir haben immer wild gespielt. Doch die Hand hält mich fest, tastet sich meinem Bein entlang nach oben – Papa?! Ich reisse mich los und tauche auf. Sehe meinen Vater weit entfernt am Beckenrand stehen. Erschrocken drehe ich mich um und sehe einen jungen Mann zwischen den Wellen wegtauchen. Ich steige aus dem Wasser und schliesse mich erstmal in der Toilette ein. Dort sitze ich und denke, so, nun es ist also passiert, du wurdest soeben sexuell belästigt. Den Ausdruck kenne ich aus den Broschüren, die wir in der Schule erhalten. In denen steht auch, man soll nicht mit fremdem Männern mitgehen und es immer den Eltern erzählen, wenn etwas passiert. Das sollte ich nun also tun, es meinen Eltern erzählen. Ich stelle mir vor, wie sie mich dabei ansehen. Wie traurig sie wären. Das würde ich nicht ertragen. Ich sage nichts.

Ich bin 14. Zum ersten Mal darf ich mit meinen Freundinnen an die Streetparade. Mehrere Männer spritzen uns mit Wasserpistolen gezielt auf die Brüste und zwischen die Beine. Einer versucht mein Oberteil zu öffnen.

Ich bin 17. Ich bin ziemlich dünn und habe kleine Brüste. Mein Freund erzählt mir, dass Kollegen ihn gefragt haben, wie es denn so sei „auf einem Knochengerüst herum zu turnen“.

Ich bin 21. Ich spaziere am Nachmittag durch mein Quartier. Als ich eine Gruppe junger Männer passiere, rufen sie mir zu, ob ich ihnen einen Blasen würde. Sie laufen mir bis zu meiner Haustüre hinterher und schreien Anzüglichkeiten.

Ich bin 25. Das Restaurant, in dem ich arbeite, schliesst bald, alle Gäste sind schon weg. Während ich hinter dem Tresen aufräume, kommt ein älterer Mann hinein und bestellt ein letztes Bier. Er beginnt von seinen Wanderungen zu erzählen, will mir Bilder zeigen. Ich schaue auf seinen Handy-Display. Bilder von Bergen und Wäldern. Dann plötzlich das Foto eines erigierten Penis. Hoppla, das muss wohl aus Versehen da rein geraten sein, entschuldigt sich der Mann. Es geht weiter. Felder, Wiesen, Penis. Oh, Entschuldigung. Bäume, Seen, Penis. Das tut mir aber leid. Das geht noch ein paar Mal so weiter, bis ich begreife, dass das kein Zufall sein kann. Mit einem Vorwand verschwinde ich nach hinten und lasse meinen Chef das Restaurant schliessen.

Ich bin 28. Wir feiern bei einer Freundin zu Hause eine grosse Party. Irgendwann entdecken wir auf der Toilette eine versteckte Kamera. Es stellt sich heraus, dass ein langjähriger Freund sie dort installiert hat.

Ich bin 30. Mit dem feministischen Kollektiv aktivistin.ch setze ich mich für Gleichberechtigung ein. An uns gerichtete Online-Kommentare reichen von Beleidigungen über sexistischen Sprüchen bis hin zu handfesten Mord- und Vergewaltigungsandrohungen.

Das ist nur ein Auszug aus dem Sexismus und den sexuellen Belästigungen, die ich in meinem Leben schon erfahren habe. Nicht zu vergessen all die Sprüche, die mir auf der Strasse nachgerufen wurden, all die Grabschereien in Clubs, all die Autos, die verdächtig langsam geworden sind. Das sind meine Erlebnisse. Doch es sind gleichzeitig auch die Erlebnisse meiner Freundinnen, meiner Mutter, meiner Arbeitskolleginnen. Jede Frau*, mit der ich je darüber gesprochen habe, hat schon Sexismus und sexuelle Belästigung erlebt. Viele haben Ähnliches erlebt. Einige haben Schlimmeres erlebt. Wir erleben es bei der Arbeit und im Ausgang, im öffentlichen Raum und in der eigenen Familie. Wir erleben es so häufig, dass es Teil unserer Normalität wird. Es ist so normal für uns geworden, dass wir oftmals nicht mehr darüber sprechen. Das muss aufhören. Wir müssen darüber reden. Mit unseren Freundinnen, unseren Müttern und unseren Töchtern. Und wir müssen mit den Männern reden. Mit unseren Freunden und Partnern, unseren Vätern und unseren Söhnen.

Aber vor allem müssen wir mit der Gesellschaft reden. Eine Gesellschaft, die Sexismus duldet und nicht sanktioniert. Eine Gesellschaft, die die Schuld oftmals bei den Opfern statt bei den Tätern sucht. Eine Gesellschaft, die mit ihren Töchtern anders umgeht als mit ihren Söhnen.

Es ist Zeit für einen #SchweizerAufschrei. 

Framing und Blaming – Rückblick auf #happytobleed

Das Feedback auf unsere Aktion #happytobleed via klassische und soziale Medien war enorm: Fast alle grossen Tageszeitungen, Radios, Online-Magazine und das Fernsehen berichteten über die Aktion. Sogar nach Grossbritannien in den Independent hat es unsere Aktion geschafft. Das freut uns! Offenbar haben wir mit einer Aktion zum Thema «Menstruation» einen wunden Punkt getroffen.

Angst vor Tabubruch

Viele Berichterstattungen legten den Fokus auf den Aspekt der 8% Mehrwertsteuer. Viel wichtiger ist uns allerdings der Diskurs über den weiblichen Körper grundsätzlich und wie die Gesellschaft mit Menstruation umgeht. Dass sich die Medien vorwiegend auf die Mehrwertsteuer fokussierten zeigt, dass die Menstruation selbst immer noch ein grosses Tabu ist, dem man lieber nicht zu viele Zeilen zumutet.  Die Angst vor dem Tabubruch hätte sich realer nicht zeigen können. 

Die Periode ist noch immer mit sehr viel Schamgefühl verbunden, mit Ekel und nichts, worüber man öffentlich sprechen möchte. Als eine chinesische Schwimmerin an den olympischen Spielen in Rio während eines Interviews ohne grosse Umschweife ihre Menstruation direkt ansprach, schlug das hohe Wellen – weil die Menstruation sonst etwas ist, worüber «man nicht spricht».

Genau um das zu ändern, haben wir die Aktion #happytobleed gestartet. Wir wollen Menstruation positiv besetzen. Wir wollen, dass alle Menschen sich getrauen, ohne Scham über das Thema sprechen. Denn: Es betrifft es uns alle, ob direkt oder indirekt. 

Tampons nicht gegen Zahnpasta ausspielen

Den Einwand, dass auch Zahnbürsten und Klopapier mit 2.5% besteuert werden sollten, lassen wir nur teilweise gelten. Das sind tatsächlich Güter des alltäglichen Verbrauchs und der Normalsteuersatz von 8% ist aus unserer Sicht auch beim Zahnbürsteli nicht gerechtfertigt. Wir haben uns bei #happytobleed aber auf Menstruations-Produkte fokussiert, und wir lassen nicht gelten, dass Tampons gegen Zahnbürsten ausgespielt werden. Wenn jemand aber eine Aktion für 2.5% MWST auf Klopapier starten möchte – nur zu. Der Hashtag #happyshitting ist vermutlich noch nicht besetzt.

Love and glitter,
aktivistin.ch