Wofür Frauen* kämpfen? – Kommentar zu Binswangers «Wie Frauen kämpfen»

Unsere Podiumsdiskussion im Rahmen der 16 Taqe gegen Gewalt an Frauen wurde von Michèle Binswanger in ihrem Artikel im Tagesanzeiger erwähnt.

«Auf dem Podium in der Photobastei wird klar: Es gibt immer auch Zwischentöne und Graustufen. Journalistin Nina Kunz erzählt, dass diese Erfahrungen für sie als junge Frau durchaus auch ambivalent waren. Dass begrabscht zu werden gewissermassen auch als Kompliment aufgefasst werden kann, weil man ja «fuckable» ist. Und dass es eine gewisse Zeit brauchte, um diese Erlebnisse einordnen zu können. Es sind mutige Aussagen, und sie führen die Diskussion dahin, wo sie interessant wird: bei der Schwierigkeit, die eigenen Grenzen erst einmal für sich selber erkennen lernen zu müssen, bevor man sie auch gegenüber anderen ziehen kann. Selbstverteidigungscoach Alex Maspoli stimmt ihr zu. Man müsse aufhören, auf Opfer und Täter zu fokussieren, und sich stattdessen konkreten Handlungen zuwenden, die als grenzüberschreitend empfunden würden. Viele Sexualstraftäter versuchten nämlich, die Grenzen diffus zu gestalten, dem Opfer auszureden, dass solche Grenzen gezogen werden könnten. In seiner Arbeit gehe es deshalb darum, die eigenen Grenzen erkennen zu lernen und sie mittels Körpersprache deutlich zu ziehen. «Jeder hat ein Recht auf Grenzen, jeder hat ein recht, Nein zu sagen», halt Maspoli fest. Und jeder habe ein Recht, sich zu wehren, was man vor allem jüngeren, männlichen Gewaltopfern zunehmend vermitteln müsse. Manche liessen sich lieber verprügeln, als sich zu wehren, um bloss nicht selber Gewalt anzuwenden. Sie seien aggressionsgehemmt, sagt Maspoli.»

(Tagesanzeiger, Wie Frauen kämpfen, 9.12.2017)

Einerseits freuen wir uns, dass es eine kritische Auseinandersetzung damit gibt, wie «Feminismus eigentlich stattfindet». Und auch darüber, dass festgestellt wird, dass nicht immer alles schwarz und weiss ist. Auch wir Feminist*innen sind der Meinung, mensch müsse differenzierter über Themen wie sexuelle Belästigung diskutieren, als es ein #MeToo und 280 Zeichen Gezwitscher erlauben.
Andererseits scheinen einige unserer Kernbotschaften nicht so recht angekommen zu sein, da nur einige wenige Zitate der Podiumsteilnehmenden ausgewählt wurden, die in eine etwas andere Richtung zeigen. Vor allem der starke Fokus darauf, wie man die eigenen Grenzen richtig setzt, stört uns etwas.

Es ging uns bei der Podiumsdiskussion vor allem auch darum, dass Menschen so miteinander umgehen sollen, dass jemensch nicht gezwungen ist, ständig Grenzen zu ziehen und sie alleine zu verteidigen. Vor allem Fragen, welche Strukturen es dafür braucht oder wie mensch besser kommunizieren kann, um Übertritte zu vermeiden, wurden diskutiert. Klar mag es illusorisch klingen, auch ohne Grenzziehung keine Grenzüberschreitung fürchten zu müssen. Es gibt aber durchaus auch Menschen, denen jegliches Grenzenziehen schwer fällt. Was dann? Diesen Personen die Schuld für einen Übergriff in die Schuhe zu schieben, ist keine Lösung. Es muss auch eine Anstrengung der Gegenseite geben, besser darin zu werden, sich ins Gegenüber hineinzufühlen und zu überprüfen, ob das eigene Verhalten auch noch ok sei. Es ist auch ein gesellschaftliches Problem, dass der normale Modus «Geh soweit bis dich jemand aufhält» ist.
Auch dass Grenzen-Ziehen immer auch eine Machtfrage ist, fällt etwas unter den Tisch. Selbstwahrnehmung der eigenen Grenzen ist notwendig, um diese ziehen zu können und stärkt auch das Selbstbewusstsein. Aber es ist nicht hinreichend: nur weil mensch seine Grenzen kennt, heisst das noch lange nicht, dass mensch sie dann auch ziehen kann. Werde ich beispielsweise von meiner*m Chef*in belästigt, kann ich diese Grenze schwer ziehen, weil ich Angst um meinen Job habe.

Hier muss es ein Umdenken geben: Grenzen anderer erkennen zu lernen und den Fokus auch auf diese Seite zu setzen wäre unserer Ansicht nach ein Schlüssel für ein respektvolleres Zusammenleben.


Ps: Hier kann man noch die gesamte Diskussion nachhören: 
https://soundcloud.com/user-934179218/28112017-grenzen-erkennen-grenzen-setzen-podiumsdiskussion-live

Podium «Grenzen erkennen, Grenzen setzen»

Im Rahmen der 16 Tage gegen geschlechtsspezifische Gewalt haben wir (in Zusammenarbeit mit dem Radio Lora, der Photobastei und den Gästen) am 28.November 2017 ein Podium veranstaltet.
Diskutiert haben:

Moderiert hat Anouk von der Frauen*redaktion vom Radio Lora

Ein riesen Dankeschön nochmal an alle Beteiligten!

(K)Ein sicheres Zuhause

Seit 7 Jahren wohne ich nicht mehr daheim. Und ich suche noch immer danach. Nach dem sicheren Zuhause, das anscheinend jede*r hatte.
Meine Beziehungen starten immer schön: mit viel Zuneigung und Hoffnung. Und enden immer in grausigen Szenarien: mit Angst, Schreien, Kontrolle und ganz vielen verwirrenden Gefühlen. Irgendwann kommen die Erinnerungen an früher, die alten Verhaltensweisen, der Kontrollverlust, das Überreagieren, das Gefühl dass man das nie hinbekommt.
Es ist hässlich, wenn man selbst als erwachsener Mensch nicht weiss, wie Liebe oder ein Zuhause funktioniert. Ich kannte das von daheim nicht, wie man sich gegenseitig stützt , wie man einander respektiert, wie man Grenzen erkennt und einhält, wie man bekommt was man braucht, wie man gibt was gebraucht wird. Und ab einem gewissen Alter lernt man es eben nicht mehr so leicht, und selbst mit psychotherapeutischer Unterstützung ist es schwer.
 

Daheim war es meist ok, wenn mein Vater nicht da war. Wenn er aber (meist betrunken) von der Arbeit heimkam, war es ein ständiges Gehen auf Eierschalen. Man konnte nichts für seine Stimmung, aber man musste auf jeden Fall bezahlen, wenn sie nicht so gut war.

Einmal hatte ich keine Lust meine Hausaufgaben gleich nach der Schule zu machen. Er schrie mich an, am Schluss lag ich weinend und mit rotem Gesicht am Boden. Ich weiss nicht, was ich falsch gemacht habe. Wahrscheinlich nichts. Ich hätte es nicht besser machen können. Ausser vielleicht indem ich nicht da wäre, nichts sage, nichts brauche….
Einmal hatte ich ein Messer am Tisch fallen lassen. Als er mich angeschrien und ich widersprochen habe und damit “drohte” mir Hilfe zu holen, hat er mich grün und blau geschlagen. Meine Mutter meinte ich solle ihn nicht provozieren und erst recht solle ich nicht die Familie kaputt machen, indem ich jemandem davon erzähle.
 

Es ist verrückt, wenn man als junger Mensch sich seiner Unversehrtheit und seines Wohlbefindens nicht sicher sein kann. Es ist vor allem verrückt, wenn das wegen eines Menschen ist, der sagt, dass er einen liebt. Es ist verrückt, dass Kinder dem Gutdünken ihrer Eltern überlassen sind. Es ist verwirrend, es bleibt verwirrend, es braucht Zeit zu heilen, verdammt lange.

-Anonym

Unfreiwillige Beziehung

Ich war nach langer Zeit wieder single, und hatte mir sogleich Tinder heruntergeladen. Gleich mein erstes Treffen schien ganz gut zu laufen. Er schien ein sehr netter Typ zu sein, ich hab viel gelacht, viel erzählt und wir hatten echt einen netten Abend. Ich sah allerdings nicht besonders viel Potential für die Zukunft, da ich ein paar Wochen später für längere Zeit ins Ausland gehen wollte.

Als ich dann schliesslich weg war, schrieb er mir ständig, obwohl ich mich sehr selten zurückmeldete. Ich hatte eben ein neues Leben woanders und um Kontakt mit ihm zu halten, war er mir nicht wichtig genug.

Als ich nach einem halben Jahr zurückkam, war unser Kontakt wieder etwas intensiver. Für mich war er ein Bekannter, den ich ab und zu traf. “Zufälligerweise” traf ich immer wieder auf Vorträgen und bei öffentlichen Diskussionen auf ihn. Nach denen er mich abfing und ein Gespräch anfing ganz egal ob ich Zeit und Lust darauf hatte. Als das immer öfter passierte, fing es an mich zu stören und ich vermied solche Situationen.
Er fing an bei allen Events aufzutauchen, bei denen ich auch war. Da ich an einem davon selber mitarbeitete und wenig Zeit hatte, er aber sonst niemanden dort kannte, stellte ich ihn meinen Freund*innen vor. Er meinte zu Ihnen, ich sei seine Freundin. Wir hatten derlei nie besprochen, wir hatten nie gefickt, wir hatten uns nie auch nur geküsst oder darüber geredet dass wir uns derlei vorstellen können.
Ein Mann, den ich kaum kannte und um den ich mich nicht sonderlich bemühte, hatte sich also herausgenommen über meinen Beziehungsstatus zu entscheiden. Ganz ohne mich zu fragen. Ich war wahnsinnig wütend. Wusste aber nicht wie ich damit umgehen sollte. Und schrieb ihm schliesslich eine lange Nachricht darüber, warum das ganz und gar nicht ok sei und was er sich eigentlich einbildete.

Er verstand es nicht. Er sah keinen Fehler in dem, was er gemacht hatte. Er sagte, er sei wohl einfach zu nett zu mir gewesen.

– Anonym, weiblich, 26

Arbeitsplatz – Ein Gedicht.

Mein Chef hat mir an den Arsch gefasst.
Zufällig. Natürlich.
Mein Chef hat gefragt, ob er nicht noch mit zu mir dürfe.
Für einen Kaffee. Natürlich.
Mein Arbeitskollege hat detailreich über seinen letzten Fick erzählt.
Man ist ja nicht prüde. Natürlich.
Mein Chef bittet mich über meinen letzten Fick zu erzählen.
Gewöhnliches Thema. Natürlich.
“Zieh doch das ganz enge Arbeits-T-Shirt an”
Es gibt nur noch die. Natürlich.

Ich kündige. Natürlich.
Beschwerde kommt zu spät. Natürlich.
Ich gehe Jahre später noch einen grossen Bogen. Natürlich.

Frauen sind ja so empfindlich. Natürlich.
Mir scheint das alles nicht so natürlich.
Mir fehlen immer noch die Worte. Natürlich.

-Anonym, weiblich, 24

Einkaufen als Trans*frau

Am Anfang meiner Transition war ich in Zürich unterwegs und besuchte ein grosses Kaufhaus. Nach dem Verlassen der Damentoilette wurde ich vom Sicherheitsdienst in Empfang genommen. Was ich auf der Damentoilette zu suchen habe, wurde ich unfreundlich gefragt und es wurden mir zwei mir unbekannte Ausweise gezeigt, was mich bloss verwirrte.

Weitere peinliche Fragen der beiden Herren folgten. Mir wurde mit Hausverbot und Polizei gedroht und mein Ausweis verlangt, was Behörden vorbehalten ist.

Da ich meine Daten nicht preisgeben wollte, versuchte ich mit den beiden Herren, Typ Kleiderschrank mit schwarzem Gurt, ins Gespräch zu kommen. Nach einigen mündlichen Verwarnungen und dem Versprechen meinerseits in diesem Haus nie mehr die Damentoilette zu besuchen wurde ich von den Securities unverrichteter Dinge gehen gelassen. Ich bin also ohne Hausverbot und ohne Personalienaufnahme davongekommen.

-Anonym, weiblich (mit Transitions-Hintergrund)

Mein Exhibitionist

Meine erste Anzeige. Die Polizei ist uneinfühlsam. “Sei er denn… naja… gekommen?”. Ich sitze aufgelöst da. Mein Gesicht ist noch nass von den Tränen und mein Herz rast noch.
“Ich weiss es nicht”. Ich zittere. Mein Zimmer liegt im Erdgeschoss. Es ist mitten in der Nacht. Der Mann der vor meinem Fenster masturbiert hat, ist längst weg. Die Angst aber bleibt. Die Polizei steht ein bisschen dumm rum. Sie fragen die falschen Fragen. “Was hatten Sie denn an?” Am Schluss bekomme ich den Tipp doch immer das Licht auf der Terasse anzulassen.
Das war nicht der erste Mann, der sich vor mir einen runterholte. Der erste war im Bus. Plötzlich war seine Hose weit offen. Der zweite war vor einem Club. Er war in einer etwas unübersichtlichen Ecke. Das aber, war der erste Mann, der (fast) in mein Zuhause eingedrungen war (*pun intended*). Wieviel Kontrolle hat man als Frau? Wie kann man Grenzen ziehen? Und wer schützt diese Grenzen?

Die Ermittlungen wurden eingestellt. Die Polizei kann da nicht helfen.
Das Licht übrigens auch nicht. Er kam wieder.

 – Anonym, weiblich, 22

16 Tage gegen Gewalt – Blogpostreihe – Alltagsgewalt

Heute, am 25. November, war der Internationale Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Wir haben auf diesen mit Flashmobs gemeinsam mit anderen Organisationen (z.B. der Amnesty Frauengruppe & der feministischen Redaktion des Radio Lora) an verschiedenen Orten in Zürich aufmerksam gemacht.
Am 28. November werden wir zum Thema «Grenzen erkennen – Grenzen setzen» mit Expert*innen über Graubereiche diskutieren. Anja Derungs von der Gleischstellungsstelle der Stadt, Alex Maspoli vom Selbstverteidigungs-Verein IMPACT und die Journalistin Nina Kunz werden mit Anna von uns und Anouk vom Radio Lora über Sex, Arbeit und den Ausgang reden. 


In den 16 Tagen gegen geschlechtsspezifische Gewalt (25.11 – 10.12) werden wir Geschichten von Frauen* und Männern* erzählen. Sie alle haben Gewalt erlebt. Gewalt hat viele Gesichter und findet nicht nur in einer anderen Welt statt, sondern hier. Mitten unter uns. Hinter verschlossenen Türen. In Chatrooms. Im Bett. In der Arbeit. In der Öffentlichkeit. Gewalt reicht von abwertenden Kommentaren, Einschränkungen der (Bewegungs-)Freiheit, Kontrolle, Grenzüberschreitungen zu direkten und offensichtlichen Verletzungen der physischen, psychischen und sexuellen Integritiät (wie Schläge, Vergewaltigung, Mord).

Gewalt findet überall statt, auch bei «uns», oft hinter verschlossenen Türen, oft im Privaten, oft subtil, oft schämen sich die Betroffenen, oft wird nicht geholfen, oft hinter Machtstrukturen. Gewalt hat verheerende Folgen. Betroffene leiden oft lange an den Vorkommnissen. Gewalterfahrungen haben einen erheblichen Einfluss auf das Selbstbild und -bewusstsein, auf die psychische Stabilität, auf spätere Erfolge und Misserfolge und auf zukünftige Beziehungen.

In der EU hat eine von drei Frauen* seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren, einer von fünf Frauen* wurde nachgestellt („gestalkt“), und jede zweite Frau* war mit einer oder mehreren Formen der sexuellen Belästigung konfrontiert. Für Männer existiert leider keine entsprechende Statistik.

Gewalt geht uns alle an. Es ist nicht das Problem der anderen, es ist nicht ein Problem im Privaten! Darum sollten wir es alle gemeinsam angehen und nicht mehr wegschauen.
 

Die folgenden Geschichten sollen zeigen wie unterschiedlich die Erlebnisse und deren Auswirkungen sein können. Die folgenden Geschichten sollen nicht sagen, dass alles auf die gleiche Art gewalttätig sei. Auch nicht, dass alles auf die gleiche Art bekämpft werden solle. Es geht uns darum zu sensibilisieren, dass Gewalt auch etwas anderes sein kann als die klischeehaften «Schläge vom alkoholisierten Ehemann» oder «Vergewaltigung durch den fremden Mann im Park». Dass auch Männer Opfer sind. Dass auch Sprache gewalttätig sein kann. Dass es keine einfache one-size-fits-all Lösung dafür geben kann. Dass man genau zuhören muss. Und dass man die unterschiedlichen Probleme erst lösen kann, wenn man sich eingesteht dass sie welche sind.

The Handmaid’s Tale in Zürich

Abtreibungsgegner aus Zürich vertrieben

Der «Marsch fürs Läbe» erhielt heuer erstmals keine Bewilligung mehr und die Zürcher Ersatzveranstaltung «Bäte fürs Läbe» vom 17. September 2017 wurde abgesagt. Das feministische Kollektiv aktivistin.ch macht mit einer Aktion auf die Wichtigkeit dieser Entwicklung aufmerksam.

«Mein Körper gehört mir» gilt für Frauen in der Schweiz erst seit 15 Jahren. Mit der am 1. Oktober 2002 in Kraft getretenen Fristenregelung liegt der Entscheid über einen Abbruch in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft bei der Frau. Sie kann ein schriftliches Gesuch zuhanden eines Arztes stellen mit der Begründung, dass sie sich in einer Notlage befinde.

Das Recht auf Abtreibung scheint in der Schweiz heute selbstverständlich. Wir wollen mit unserer Aktion ein Bewusstsein dafür schaffen, dass politische und gesellschaftliche Errungenschaften verteidigt werden müssen – weil sie auch wieder rückgängig gemacht werden können.

Treffend geschildert hat dies Margaret Atwood mit ihrem dystopischen Roman «The Handmaid’s Tale». Die Autorin schildert ein christlich-fundamental regiertes Amerika der nahen Zukunft, in dem viele Frauen aufgrund nuklearer Katastrophen unfruchtbar geworden sind. Die Machthaber leisten sich eine Magd («Handmaid») – also eine der wenigen noch fruchtbaren Frauen – zu Fortpflanzungszwecken. Rechte haben die Frauen keine mehr; sie verbringen die Tage in roten Umhängen und weissen Hauben, die ihnen die Sicht auf die Aussenwelt versperren.

In den USA erlebte das Buch nach der Wahl Donald Trumps einen Boom. Vieles, das als Fiktion geschrieben wurde, schien plötzlich gar nicht mehr so unmöglich. Unter der neuen Regierung wurden bereits Gelder für Schwangerschaftsberatungen gestrichen; in Ohio sollen künftig auch Vergewaltiger über einen möglichen Abbruch mitentscheiden können. In Polen verhinderten 2016 derweil erst die Proteste von Zehntausenden ein noch restriktiveres Abtreibungsgesetz.

Auch hier bleibt das Recht auf Abtreibungen umstritten: 2010 lancierte der Verein Mamma die Volksinitiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache», die die Kosten aus der obligatorischen Grundversorgung streichen wollte. Zudem mobilisiert der «Marsch fürs Läbe» seit Jahren jeden Herbst tausende Abtreibungsgegner.

Wir von aktivistin.ch sehen den «Marsch fürs Läbe» nicht als Meinungsäusserung an, sondern als Bedrohung für eine aufgeklärte Gesellschaft und die Integrität von Frauen. Fundamentale Christen, die mit dem Gebot «du sollst nicht töten» argumentieren, vergessen, wie viele Leben im Namen des Glaubens schon genommen wurden. Und sie setzen das Wohl eines ungeborenen Kindes über das Wohl der Mutter: Früher stocherten verzweifelte Frauen so lange mit einer Stricknadel in ihrer Gebärmutter herum, bis die Fruchtblase platzte. Oft starben sie an den Verletzungen. Andere liessen sich von Dritten in den Bauch treten, um einen Frühabort herbeizuführen. Zahlreiche Leben wurden aufgrund ungewollter Schwangerschaften und illegaler Abtreibungen zerstört. Aktivistin.ch begrüsst darum den Entscheid, dass der «Marsch fürs Läbe» dieses Jahr keine Bewilligung für einen Auftritt auf öffentlichem Grund erhielt. Weil Fundamentalismus dort keinen Platz hat.

In der Schweiz entscheiden sich jährlich rund 10 000 Frauen für eine Abtreibung – die Zahl ist seit zehn Jahren konstant. Eine aktuelle Studie der University of California besagt, dass von 667 befragten Frauen nur fünf Prozent angaben, ihren Entscheid bereut zu haben. Die Befragung fand drei Jahre nach der Abtreibung statt.

Position aktivistin.ch Altersvorsorge 2020

Kurzbeschrieb Rentensystem

Grundsätzlich ist das AHV System der Schweiz eine der grossen sozialen Errungenschaften. Da es eine Umverteilung von reich zu arm, von jung zu alt und eben auch von „männlich zu weiblich“ bedeutet, ermöglichte die AHV seit ihrer Einführung 1948 vielen Menschen ein würdigeres Leben im Alter. Gerade Frauen*, die während ihres Lebens zuerst durch das frauenfeindliche Ehegesetz und bis heute noch durch die ihnen von der Gesellschaft zugewiesene Rolle als Mütter und Hausfrauen lange Erwerbsausfälle haben, sind oft von Altersarmut betroffen. Die AHV wirkt dem zumindest teilweise entgegen. Sie wird durch die Mehrwertsteuer und durch das Alterssolidaritätsprinzip finanziert. Das heisst, dass die Personen, welche heute arbeiten und AHV Beiträge einzahlen (8.4% bei Angestellten) direkt die Bezüger*innen finanzieren.

Die AHV ist im Schweizer Rentensystem die sogenannte 1. Säule. Sie kommt allen zugute und die Höhe der Altersrente ist relativ unabhängig vom Einkommen während der erwerbstätigen Jahre. Anders verhält es sich mit der Rente aus der Pensionskasse, der 2. Säule. Heute muss der Lohn einer arbeitnehmenden Person 21’000 Franken im Jahr bei der*beim gleichen Arbeitgeber*in betragen, um überhaupt in der zweiten Säule versichert zu sein. Die mit dem Alter steigenden Altersgutschriftensätze bestimmen, wie viel vom Lohn in die 2. Säule fliesst. Das so angesammelte Alterskapital wird mit einem Satz von 1.25% (vor wenigen Jahren noch mit einem Satz von 4%) verzinst und bei Erreichen des Rentenalters wird jeden Monat ein Teil dieses Ersparten an die*den Versicherte*n ausbezahlt. Heute liegt dieser Umwandlungssatz bei 6.8% pro Jahr.

In der 3. Säule, die nicht obligatorisch ist, werden Vermögen gelagert, die bis auf wenige Ausnahmefälle bis zum Zeitpunkt der Pensionierung nicht mehr bezogen werden können. Dieses Kapital ist steuerbefreit und wird zum Teil vorteilhafter verzinst.

Reform der Altersvorsorge 2020

Im Folgenden gehen wir auf jene Punkte der AHV-Reform ein, die uns speziell als Frauen* betreffen. Wir versuchen, die Überlegungen darzustellen, welche uns dazu bewogen haben, die geplante Reform abzulehnen.

Mit der vorgesehenen Reform des Rentensystems soll das Rentenalter für Frauen* von 64 auf 65 Jahre angeglichen werden. Damit wäre das Rentenalter für Frauen* und Männer* gleich. Dies wird damit begründet, dass das traditionelle Familienmodell, das „Ernährermodell“, überholt sei und Frauen* gleichberechtigt wie Männer* bis 65 Jahre erwerbstätig sein können. Wir sind gegen diese Erhöhung des Frauen*rentenalters. Die Anzahl Stunden geleisteter unbezahlter Arbeit überwiegen im Vergleich zu Stunden bezahlter Arbeit extrem. Zum grössten Teil wird diese Arbeit von Frauen* erledigt. Es ist aber klar, dass diese unbezahlten Care- und Reproduktionsarbeiten essentiell für unsere Gesundheit und Gesellschaft sind. Diese unbezahlt geleisteten Arbeitsstunden finden sich in keiner Lohnabrechnung wieder und tragen nichts dazu bei, das Alterskapital in die Höhe zu treiben. Dies bedeutet, dass jemand, die*der ein Leben lang gekocht, geputzt, gepflegt und Hausaufgabenhilfe geleistet hat, keine Garantie für ein würdiges Leben im Alter hat. Von diesen Arbeiten kann man sich zudem auch nicht einfach ab einem bestimmten Alter pensionieren lassen (Grosselterntätigkeiten, Pflege kranker Partner*innen/Nachkommen, usw.). Wer einmal unbezahlte Haus- und Caretätigkeiten über längere Zeit ausgeübt hat, der*dem fällt der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben oft sehr schwer.

Ein weitere Grund, weshalb wir die Erhöhung des Rentenalters für Frauen* ablehnen, ist der Fakt, dass die Lohnungleichheit trotz Gleichstellungsgesetz, welches die Lohndiskriminierung verbietet, weiterhin besteht. Frauen*löhne liegen im Schnitt 21% tiefer als diejenigen von Männern* im Schnitt unterscheidet ist fast 21%. 8.7% der Lohnunterschiede sind unbegründet und gelten somit als Lohndiskriminierung. Gerade bei diesem Punkt der Gleichstellungsthematik ist der grundsätzliche Tenor der Reform stossend. Die Frauen* sollen zu Zugeständnissen bereit sein und etwas entgegenkommen wenn sie „gleich“ und damit auch gleichbehandelt werden wollen. Auf dem Rücken der Frauen* vermeintliche Fortschrittsversuche in Sachen Gleichstellung zu machen, zeugt von einer tief sexistischen Logik. Ausserdem haben die letzten Rentenaltererhöhungen ja ganz offensichtlich diesbezüglich auch nichts gebracht.

Ein positiver Aspekt ist, dass mit der Rentenreform die AHV-Rente für Alleinstehende um 70 CHF (für Ehepaare maximal 226 CHF) monatlich erhöht wird. Dieser absolute Betrag kommt Menschen mit geringem Einkommen stärker zugute. Diese Regelung betrifft allerdings nur jene, welche ab Inkrafttreten der Reform in Rente gehen. Alle Menschen, die heute schon AHV beziehen, sind davon ausgeschlossen. Das teilt die Bezüger*innen in zwei Gruppen, was den Grundsätzen der AHV widerspricht. Diese Erhöhung der Rente zusammen mit der demographischen Entwicklung (der Überalterung der Gesellschaft) führt zu mehr Ausgaben der AHV. Dies soll – neben der Erhöhung des Rentenalters für Frauen* – einerseits mit der Erhöhung der Beiträge für Selbstständige und andererseits mit einer zweistufigen Mehrwertsteuererhöhung um insgesamt 0.6% kompensiert werden. Mehrwertsteuererhöhungen sind in unseren Augen asozial, denn diese führen dazu, dass Leute mit wenig Geld mehr Ausgaben für lebensnotwendige Produkte haben.

Der oben erwähnte Umwandlungssatz, mit welchem die jährliche Rente aus der zweiten Säule errechnet wird, soll mit der Reform von 6.8% auf 6.0% gesenkt werden. Um die Rentenausfälle auszugleichen, werden die Altersgutschriftensätze, also jener Prozentteil des Lohns, der in die zweite Säule einbezahlt werden muss, erhöht. Somit haben die Menschen zwar mehr einzubezahlen, bekommen schlussendlich aber nicht mehr Rente im Alter. Dies bekommen erneut Menschen mit Teilzeitstellen, sprich insbesondere Frauen*, verstärkt zu spüren.

Die Eintrittsschwelle für die Pensionskasse soll von 21‘000 CHF jährlich auf 14‘000 CHF pro Arbeitgeber*in gesenkt werden. Wir sehen das als einen positiven Aspekt der Reform, da es für Teilzeitarbeitende in Niedriglohnsektoren eine Verbesserung darstellt. So muss heute eine Verkäuferin fast 50% arbeiten, um überhaupt die Eintrittsschwelle der Pensionskasse zu übersteigen. Wie sich real diese Abzüge bei so tiefen Erwerbslöhnen aber konkret auf den Alltag der betroffenen Menschen auswirken, bleibt fraglich, vor allem, da den monatlichen Abzügen während der Erwerbstätigkeit nur sehr geringe monatliche Pensionskassenrenten im Alter entgegenstehen.

Nebst dem Fakt, dass die Reform klar sexistisch ist, bietet sie auch keine Lösung dafür, das Rentensystem weniger rassistisch zu gestalten als es schon heute ist. Wer heute in die Schweiz einwandert, hat oft nicht die vollen Jahre Erwerbstätigkeit vorzuweisen, die eine angemessene oder zumutbare Rente ermöglichen. Dies bedeutet ein höheres Risiko, im Alter in eine immer prekärere monetäre Situation zu geraten, bzw. von Altersarmut betroffen zu sein. Nur erwachsenen Migrant*innen mit dem Privileg, selbst etwas auf die Seite legen zu können (3. Säule), da sie aus wohlhabenden Verhältnissen oder über gut bezahlte Jobs in die Schweiz kommen, ist eine würdige Altersvorsorge garantiert. Mit der Reform wird überhaupt nicht auf diese Tatsache eingegangen.

Wie oben schon angemerkt, finden wir die Institution der AHV aufgrund ihres umverteilenden Charakters sehr positiv. Die Pensionskassen hingegen, die zwar obligatorisch sind, aber durchaus nichts Soziales an sich haben, finden wir so wie sie heute sind ablehnenswert. Pensionskassen spekulieren mit unseren langzeitangelegten Geldern und das auf höchst fragwürdige Weise. Wenn dies nicht erfolgreich ist, leiden unsere Renten oder die Öffentlichkeit zahlt direkt für die Rettung der BVG. Die Reform scheint vor allem den Pensionskassen zu helfen und nicht den individuellen Bezüger*innnen.

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt und unser Wohlstand steigt tendenziell immer weiter an. Wir dürfen nicht vergessen, dass viel von dem, was wir als den „Europäischen Wohlstand“ wahrnehmen, nicht daher kommt, dass wir einfach fleissiger sind, oder „besser arbeiten“, wie man uns heute im neoliberalen Imperativ des „Es selber schaffen Müssens“ gerne mal weismachen will, sondern auch stark von den sozialen Errungenschaften abhängt, die sich für die meisten sehr positiv auswirken. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden vielerorts die Sozialstaaten stark ausgebaut. Die Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten beschneiden aber den Service Public immer mehr und mehr. Unter dem „den Gürtel enger Schnallen“ wird uns leider sehr erfolgreich verkauft, dass es einfach nicht so gut läuft und wir alle verzichten müssen. Das betrifft die Schulen, die Pflege, den öffentlichen Verkehr, die Sozialwerke, um nur die offensichtlichsten zu nennen. Dies korrespondiert mit einer Steuerpolitik, welche wenige sehr Reiche und Grossunternehmungen bevorzugt, während dem Grossteil der Menschen gesagt wird, es sei halt Krise. Dass es aber damit zusammenhängt, dass wir alle nichts für die Krise können, sondern es ein dem System inhärentes Phänomen ist und auch nicht zum letzten Mal passiert sein wird, wird dabei einfach vergessen. Wir finden, dass solche Angriffe auf unser Sozialsystem die Frauen* dreifach betreffen. Einerseits wie alle anderen Menschen als Nutzer*innen. Wenn Leistungen gekürzt werden, leiden wir alle. Zweitens sind viele bezahlte Carearbeiten teil des Service Public. Frauen* sind in diesen Sektoren (Pflege, Bildung, Soziales) viel häufiger beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren werden durch mangelnde finanzielle Mittel und Privatisierungen immer mehr verschlechtert. Und schliesslich ist es ja nicht so, dass diese Aufgaben dann nicht mehr übernommen werden, dafür hängt die Gesellschaft zu stark von diesen „nicht produktiven Arbeiten“ ab. Vielmehr findet eine Verschiebung ins Private statt. Wie oben schon erwähnt, sind es aufgrund der Rollenverteilungen und der Erwartungen der Gesellschaft an die Frauen* viel öfter diese, die dann bspw. die pflegenden Aufgaben übernehmen, wenn jemand zu früh aus dem Spital entlassen werden muss, oder es sind die Grosseltern, welche die Kinder hüten, wenn die Eltern arbeiten müssen. Die AHV-Reform ist schlussendlich einfach eine Massnahme, die sich in diese Kürzungen einreiht und die sogar linke, soziale Menschen dazu bringt, sich dem „there is no alternative“ hinzugeben. Und wenn man dann den Blick auch nur ein wenig auf andere Ausgabenpunkte des Bundesbudgets, wie beispielsweise die Armee, lenkt, dann wird klar, dass dort scheinbar genügend Geld vorhanden ist. In den letzten zehn Jahren hat das Parlament der Armee Rüstungskäufe im Wert von 7.3 Milliarden Franken genehmigt. Kann es denn wirklich sein, dass die Aufrüstungen der Armee auch nur annähernd so viel wert sein können wie die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Würde der Menschen?

Zuletzt wollen wir uns noch dem oben schon kurz erwähnten Punkt zuwenden, dass wer Gleichstellung will, auch für ein gleich hohes Rentenalter sein soll. Wie schon gesagt, finden wir es sexistisch, bei den Punkten anzufangen, bei welchen die Frauen* etwas tun müssen, statt all jenen Punkten zuerst Beachtung zu schenken, bei welchen Frauen* systematisch und institutionell diskriminiert werden. Von Frauen* wird oft verlangt, dass sie sich zum Wohle aller „aufopfern“. Die Erhöhung des Rentenalters für Frauen*, ist ein perfektes Beispiel dafür. Allerdings sind wir in dieser Debatte über Arbeit, deren Wert und auch schlussendlich deren Sinn durchaus aufgeschlossen. Es wird immer wieder aufgezeigt, dass aufgrund des technischen Fortschritts unsere kumulierte Arbeitskraft gar nicht mehr von Nöten ist, um all das zu produzieren, was wir zum Leben brauchen. Die Menschen müssten viel weniger Lohnarbeit verrichten als es getan wird, man beachte nur die ganzen sinnlosen Jobs die es so gibt. Bestimmt jede*r kennt jemanden, die*der einen Beruf ausübt, von dem nicht verstanden wird, was es denn genau sein soll z.B. das Schaffen neuer künstlicher Bedürfnisse, das Beheben hochstilisierter Problemzonen…

Uns ist klar, dass die Altersvorsorge reformiert werden muss. Unsere utopische Vorstellung wäre also ein Rentenalter für alle von 60. Es ist eine Illusion, dass Menschen ohne Arbeit nicht arbeiten würden. Es gibt verschiedene Ansätze, wie Arbeitszeitverringerungen für alle durchaus finanzierbar wären und wir finden aus feministischer Perspektive diese Forderung auch darum so wichtig, weil „nicht-produktive“ Arbeiten so nicht als zweitklassig angesehen würden. Uns ist allerdings klar, dass dies sehr wohl nicht in den bestehenden kapitalistischen und patriarchalen Strukturen geschehen kann, sondern ein grundsätzliches Umdenken und eine Verschiebung von Wertvorstellungen und der ganzen Logik dahinter braucht. Gleichstellung und Sexismusbekämpfung haben also sehr wohl etwas mit der grundlegenden Debatte über die Frage zu tun wie wir unsere Arbeit und unsere Leben gestalten wollen, und wer die Deutungshoheit darüber hat, was als „Arbeit, von der man dann mal pensioniert werden kann“ gilt, und eben auch was nicht!