Kurzbeschrieb Rentensystem
Grundsätzlich
ist das AHV System der Schweiz eine der grossen sozialen
Errungenschaften. Da es eine Umverteilung von reich zu arm, von jung zu
alt und eben auch von „männlich zu weiblich“ bedeutet, ermöglichte die
AHV seit ihrer Einführung 1948 vielen Menschen ein würdigeres Leben im
Alter. Gerade Frauen*, die während ihres Lebens zuerst durch das
frauenfeindliche Ehegesetz und bis heute noch durch die ihnen von der
Gesellschaft zugewiesene Rolle als Mütter und Hausfrauen lange
Erwerbsausfälle haben, sind oft von Altersarmut betroffen. Die AHV wirkt
dem zumindest teilweise entgegen. Sie wird durch die Mehrwertsteuer und
durch das Alterssolidaritätsprinzip finanziert. Das heisst, dass die
Personen, welche heute arbeiten und AHV Beiträge einzahlen (8.4% bei
Angestellten) direkt die Bezüger*innen finanzieren.
Die AHV ist im
Schweizer Rentensystem die sogenannte 1. Säule. Sie kommt allen zugute
und die Höhe der Altersrente ist relativ unabhängig vom Einkommen
während der erwerbstätigen Jahre. Anders verhält es sich mit der Rente
aus der Pensionskasse, der 2. Säule. Heute muss der Lohn einer
arbeitnehmenden Person 21’000 Franken im Jahr bei der*beim gleichen
Arbeitgeber*in betragen, um überhaupt in der zweiten Säule versichert zu
sein. Die mit dem Alter steigenden Altersgutschriftensätze bestimmen,
wie viel vom Lohn in die 2. Säule fliesst. Das so angesammelte
Alterskapital wird mit einem Satz von 1.25% (vor wenigen Jahren noch mit
einem Satz von 4%) verzinst und bei Erreichen des Rentenalters wird
jeden Monat ein Teil dieses Ersparten an die*den Versicherte*n
ausbezahlt. Heute liegt dieser Umwandlungssatz bei 6.8% pro Jahr.
In
der 3. Säule, die nicht obligatorisch ist, werden Vermögen gelagert,
die bis auf wenige Ausnahmefälle bis zum Zeitpunkt der Pensionierung
nicht mehr bezogen werden können. Dieses Kapital ist steuerbefreit und
wird zum Teil vorteilhafter verzinst.
Reform der Altersvorsorge 2020
Im
Folgenden gehen wir auf jene Punkte der AHV-Reform ein, die uns
speziell als Frauen* betreffen. Wir versuchen, die Überlegungen
darzustellen, welche uns dazu bewogen haben, die geplante Reform
abzulehnen.
Mit der vorgesehenen Reform des Rentensystems soll das
Rentenalter für Frauen* von 64 auf 65 Jahre angeglichen werden. Damit
wäre das Rentenalter für Frauen* und Männer* gleich. Dies wird damit
begründet, dass das traditionelle Familienmodell, das „Ernährermodell“,
überholt sei und Frauen* gleichberechtigt wie Männer* bis 65 Jahre
erwerbstätig sein können. Wir sind gegen diese Erhöhung des
Frauen*rentenalters. Die Anzahl Stunden geleisteter unbezahlter Arbeit
überwiegen im Vergleich zu Stunden bezahlter Arbeit extrem. Zum grössten
Teil wird diese Arbeit von Frauen* erledigt. Es ist aber klar, dass
diese unbezahlten Care- und Reproduktionsarbeiten essentiell für unsere
Gesundheit und Gesellschaft sind. Diese unbezahlt geleisteten
Arbeitsstunden finden sich in keiner Lohnabrechnung wieder und tragen
nichts dazu bei, das Alterskapital in die Höhe zu treiben. Dies
bedeutet, dass jemand, die*der ein Leben lang gekocht, geputzt, gepflegt
und Hausaufgabenhilfe geleistet hat, keine Garantie für ein würdiges
Leben im Alter hat. Von diesen Arbeiten kann man sich zudem auch nicht
einfach ab einem bestimmten Alter pensionieren lassen
(Grosselterntätigkeiten, Pflege kranker Partner*innen/Nachkommen, usw.).
Wer einmal unbezahlte Haus- und Caretätigkeiten über längere Zeit
ausgeübt hat, der*dem fällt der Wiedereinstieg ins Erwerbsleben oft sehr
schwer.
Ein weitere Grund, weshalb wir die Erhöhung des
Rentenalters für Frauen* ablehnen, ist der Fakt, dass die
Lohnungleichheit trotz Gleichstellungsgesetz, welches die
Lohndiskriminierung verbietet, weiterhin besteht. Frauen*löhne liegen im
Schnitt 21% tiefer als diejenigen von Männern* im Schnitt unterscheidet
ist fast 21%. 8.7% der Lohnunterschiede sind unbegründet und gelten
somit als Lohndiskriminierung. Gerade bei diesem Punkt der
Gleichstellungsthematik ist der grundsätzliche Tenor der Reform
stossend. Die Frauen* sollen zu Zugeständnissen bereit sein und etwas
entgegenkommen wenn sie „gleich“ und damit auch gleichbehandelt werden
wollen. Auf dem Rücken der Frauen* vermeintliche Fortschrittsversuche in
Sachen Gleichstellung zu machen, zeugt von einer tief sexistischen
Logik. Ausserdem haben die letzten Rentenaltererhöhungen ja ganz
offensichtlich diesbezüglich auch nichts gebracht.
Ein positiver
Aspekt ist, dass mit der Rentenreform die AHV-Rente für Alleinstehende
um 70 CHF (für Ehepaare maximal 226 CHF) monatlich erhöht wird. Dieser
absolute Betrag kommt Menschen mit geringem Einkommen stärker zugute.
Diese Regelung betrifft allerdings nur jene, welche ab Inkrafttreten der
Reform in Rente gehen. Alle Menschen, die heute schon AHV beziehen,
sind davon ausgeschlossen. Das teilt die Bezüger*innen in zwei Gruppen,
was den Grundsätzen der AHV widerspricht. Diese Erhöhung der Rente
zusammen mit der demographischen Entwicklung (der Überalterung der
Gesellschaft) führt zu mehr Ausgaben der AHV. Dies soll – neben der
Erhöhung des Rentenalters für Frauen* – einerseits mit der Erhöhung der
Beiträge für Selbstständige und andererseits mit einer zweistufigen
Mehrwertsteuererhöhung um insgesamt 0.6% kompensiert werden.
Mehrwertsteuererhöhungen sind in unseren Augen asozial, denn diese
führen dazu, dass Leute mit wenig Geld mehr Ausgaben für
lebensnotwendige Produkte haben.
Der oben erwähnte
Umwandlungssatz, mit welchem die jährliche Rente aus der zweiten Säule
errechnet wird, soll mit der Reform von 6.8% auf 6.0% gesenkt werden. Um
die Rentenausfälle auszugleichen, werden die Altersgutschriftensätze,
also jener Prozentteil des Lohns, der in die zweite Säule einbezahlt
werden muss, erhöht. Somit haben die Menschen zwar mehr einzubezahlen,
bekommen schlussendlich aber nicht mehr Rente im Alter. Dies bekommen
erneut Menschen mit Teilzeitstellen, sprich insbesondere Frauen*,
verstärkt zu spüren.
Die Eintrittsschwelle für die Pensionskasse
soll von 21‘000 CHF jährlich auf 14‘000 CHF pro Arbeitgeber*in gesenkt
werden. Wir sehen das als einen positiven Aspekt der Reform, da es für
Teilzeitarbeitende in Niedriglohnsektoren eine Verbesserung darstellt.
So muss heute eine Verkäuferin fast 50% arbeiten, um überhaupt die
Eintrittsschwelle der Pensionskasse zu übersteigen. Wie sich real diese
Abzüge bei so tiefen Erwerbslöhnen aber konkret auf den Alltag der
betroffenen Menschen auswirken, bleibt fraglich, vor allem, da den
monatlichen Abzügen während der Erwerbstätigkeit nur sehr geringe
monatliche Pensionskassenrenten im Alter entgegenstehen.
Nebst dem
Fakt, dass die Reform klar sexistisch ist, bietet sie auch keine Lösung
dafür, das Rentensystem weniger rassistisch zu gestalten als es schon
heute ist. Wer heute in die Schweiz einwandert, hat oft nicht die vollen
Jahre Erwerbstätigkeit vorzuweisen, die eine angemessene oder zumutbare
Rente ermöglichen. Dies bedeutet ein höheres Risiko, im Alter in eine
immer prekärere monetäre Situation zu geraten, bzw. von Altersarmut
betroffen zu sein. Nur erwachsenen Migrant*innen mit dem Privileg,
selbst etwas auf die Seite legen zu können (3. Säule), da sie aus
wohlhabenden Verhältnissen oder über gut bezahlte Jobs in die Schweiz
kommen, ist eine würdige Altersvorsorge garantiert. Mit der Reform wird
überhaupt nicht auf diese Tatsache eingegangen.
Wie oben schon
angemerkt, finden wir die Institution der AHV aufgrund ihres
umverteilenden Charakters sehr positiv. Die Pensionskassen hingegen, die
zwar obligatorisch sind, aber durchaus nichts Soziales an sich haben,
finden wir so wie sie heute sind ablehnenswert. Pensionskassen
spekulieren mit unseren langzeitangelegten Geldern und das auf höchst
fragwürdige Weise. Wenn dies nicht erfolgreich ist, leiden unsere Renten
oder die Öffentlichkeit zahlt direkt für die Rettung der BVG. Die
Reform scheint vor allem den Pensionskassen zu helfen und nicht den
individuellen Bezüger*innnen.
Die Schweiz ist eines der reichsten
Länder der Welt und unser Wohlstand steigt tendenziell immer weiter an.
Wir dürfen nicht vergessen, dass viel von dem, was wir als den
„Europäischen Wohlstand“ wahrnehmen, nicht daher kommt, dass wir einfach
fleissiger sind, oder „besser arbeiten“, wie man uns heute im
neoliberalen Imperativ des „Es selber schaffen Müssens“ gerne mal
weismachen will, sondern auch stark von den sozialen Errungenschaften
abhängt, die sich für die meisten sehr positiv auswirken. Nach dem
zweiten Weltkrieg wurden vielerorts die Sozialstaaten stark ausgebaut.
Die Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten beschneiden aber den
Service Public immer mehr und mehr. Unter dem „den Gürtel enger
Schnallen“ wird uns leider sehr erfolgreich verkauft, dass es einfach
nicht so gut läuft und wir alle verzichten müssen. Das betrifft die
Schulen, die Pflege, den öffentlichen Verkehr, die Sozialwerke, um nur
die offensichtlichsten zu nennen. Dies korrespondiert mit einer
Steuerpolitik, welche wenige sehr Reiche und Grossunternehmungen
bevorzugt, während dem Grossteil der Menschen gesagt wird, es sei halt
Krise. Dass es aber damit zusammenhängt, dass wir alle nichts für die
Krise können, sondern es ein dem System inhärentes Phänomen ist und auch
nicht zum letzten Mal passiert sein wird, wird dabei einfach vergessen.
Wir finden, dass solche Angriffe auf unser Sozialsystem die Frauen*
dreifach betreffen. Einerseits wie alle anderen Menschen als
Nutzer*innen. Wenn Leistungen gekürzt werden, leiden wir alle. Zweitens
sind viele bezahlte Carearbeiten teil des Service Public. Frauen* sind
in diesen Sektoren (Pflege, Bildung, Soziales) viel häufiger
beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen in diesen Sektoren werden durch
mangelnde finanzielle Mittel und Privatisierungen immer mehr
verschlechtert. Und schliesslich ist es ja nicht so, dass diese Aufgaben
dann nicht mehr übernommen werden, dafür hängt die Gesellschaft zu
stark von diesen „nicht produktiven Arbeiten“ ab. Vielmehr findet eine
Verschiebung ins Private statt. Wie oben schon erwähnt, sind es aufgrund
der Rollenverteilungen und der Erwartungen der Gesellschaft an die
Frauen* viel öfter diese, die dann bspw. die pflegenden Aufgaben
übernehmen, wenn jemand zu früh aus dem Spital entlassen werden muss,
oder es sind die Grosseltern, welche die Kinder hüten, wenn die Eltern
arbeiten müssen. Die AHV-Reform ist schlussendlich einfach eine
Massnahme, die sich in diese Kürzungen einreiht und die sogar linke,
soziale Menschen dazu bringt, sich dem „there is no alternative“
hinzugeben. Und wenn man dann den Blick auch nur ein wenig auf andere
Ausgabenpunkte des Bundesbudgets, wie beispielsweise die Armee, lenkt,
dann wird klar, dass dort scheinbar genügend Geld vorhanden ist. In den
letzten zehn Jahren hat das Parlament der Armee Rüstungskäufe im Wert
von 7.3 Milliarden Franken genehmigt. Kann es denn wirklich sein, dass
die Aufrüstungen der Armee auch nur annähernd so viel wert sein können
wie die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Würde der Menschen?
Zuletzt
wollen wir uns noch dem oben schon kurz erwähnten Punkt zuwenden, dass
wer Gleichstellung will, auch für ein gleich hohes Rentenalter sein
soll. Wie schon gesagt, finden wir es sexistisch, bei den Punkten
anzufangen, bei welchen die Frauen* etwas tun müssen, statt all jenen
Punkten zuerst Beachtung zu schenken, bei welchen Frauen* systematisch
und institutionell diskriminiert werden. Von Frauen* wird oft verlangt,
dass sie sich zum Wohle aller „aufopfern“. Die Erhöhung des Rentenalters
für Frauen*, ist ein perfektes Beispiel dafür. Allerdings sind wir in
dieser Debatte über Arbeit, deren Wert und auch schlussendlich deren
Sinn durchaus aufgeschlossen. Es wird immer wieder aufgezeigt, dass
aufgrund des technischen Fortschritts unsere kumulierte Arbeitskraft gar
nicht mehr von Nöten ist, um all das zu produzieren, was wir zum Leben
brauchen. Die Menschen müssten viel weniger Lohnarbeit verrichten als es
getan wird, man beachte nur die ganzen sinnlosen Jobs die es so gibt.
Bestimmt jede*r kennt jemanden, die*der einen Beruf ausübt, von dem
nicht verstanden wird, was es denn genau sein soll z.B. das Schaffen
neuer künstlicher Bedürfnisse, das Beheben hochstilisierter
Problemzonen…
Uns ist klar, dass die Altersvorsorge reformiert
werden muss. Unsere utopische Vorstellung wäre also ein Rentenalter für
alle von 60. Es ist eine Illusion, dass Menschen ohne Arbeit nicht
arbeiten würden. Es gibt verschiedene Ansätze, wie
Arbeitszeitverringerungen für alle durchaus finanzierbar wären und wir
finden aus feministischer Perspektive diese Forderung auch darum so
wichtig, weil „nicht-produktive“ Arbeiten so nicht als zweitklassig
angesehen würden. Uns ist allerdings klar, dass dies sehr wohl nicht in
den bestehenden kapitalistischen und patriarchalen Strukturen geschehen
kann, sondern ein grundsätzliches Umdenken und eine Verschiebung von
Wertvorstellungen und der ganzen Logik dahinter braucht. Gleichstellung
und Sexismusbekämpfung haben also sehr wohl etwas mit der grundlegenden
Debatte über die Frage zu tun wie wir unsere Arbeit und unsere Leben
gestalten wollen, und wer die Deutungshoheit darüber hat, was als
„Arbeit, von der man dann mal pensioniert werden kann“ gilt, und eben
auch was nicht!